Die Politik des Ressortzuschnitts in Deutschland

Inhalt und Ziele

Die Politikfelder Wohnungsbau und Energie geh?ren zu den aktuell meistdiskutierten Zukunftsthemen der Politik. Doch wer ist f¨¹r diese Themen innerhalb der Bundesregierung zust?ndig? Die Antwort auf diese Frage ?nderte sich in der j¨¹ngeren Vergangenheit h?ufig: Der Wohnungsbau f?llt seit 2018 in die Zust?ndigkeit des Bundesinnenministeriums, von 2013 bis 2018 war das Umweltministerium zust?ndig, vor 2013 das Verkehrsministerium. Die Energiepolitik wird seit 2013 vom Bundeswirtschaftsministerium gesteuert, davor war sie im Umweltministerium beheimatet. Dies sind nur zwei Beispiele f¨¹r ein wichtiges aber in der politikwissenschaftlichen Forschung weitgehend ignoriertes Ph?nomen: Die Zuordnung von Politikfeldern zu Ministerien unterliegt h?ufigen Reformen mit bislang weitgehend unbekannten Ursachen sowie Folgen f¨¹r politische Prozesse und deren Ergebnisse.

Das von der DFG gef?rderte Forschungsprojekt ?Die Politik des Ressortzuschnitts¡° untersucht Ursachen dieser Ver?nderungen im Ressortzuschnitt und ihre Folgen seit Gr¨¹ndung der Bundesrepublik. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie h?ufig derartige Reformen zu beobachten sind, wie die jeweiligen Zust?ndigkeitsverschiebungen erkl?rt werden k?nnen, und inwieweit sie substanzielle politische Konsequenzen nach sich ziehen und somit f¨¹r die B¨¹rger sp¨¹rbar werden.

Methode

Das Projekt beschreibt zun?chst die Zust?ndigkeitsverteilung innerhalb der Bundesregierung durch einen detaillierten Vergleich von Organigrammen der Ministerien ¨¹ber Zeit. Dadurch l?sst sich genau nachvollziehen, f¨¹r welche Themenfelder Ministerien und ihre Untereinheiten (Abteilungen, Unterabteilungen und Referate) verantwortlich sind sowie wann und wie Zust?ndigkeiten zwischen und innerhalb von Ministerien verschoben werden.

Der zweite Schritt versucht diese Ver?nderungen zu erkl?ren. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Reformen vorrangig von Effizienzerw?gungen motiviert sind (beispielsweise indem inhaltlich zusammenh?ngende Materien in einem Ministerium geb¨¹ndelt werden) oder eher einer machtpolitischen Logik folgen. In diesem Fall sollten Reformen von den politischen Interessen der Koalitionspartner sowie insbesondere der jeweiligen Parteif¨¹hrungen getrieben sein. Zur Unterscheidung dieser Erkl?rungsans?tze werden Zust?ndigkeitsverschiebungen ¨¹ber Zeit statistisch untersucht sowie Interviews mit an Reformprozessen beteiligten Akteuren gef¨¹hrt.

Schlie?lich stellt sich die Frage, inwieweit Reformen des Ressortzuschnitts substanzielle Auswirkungen haben. Ver?ndern sie politische Prozesse innerhalb der Bundesregierung und letztlich politische Ergebnisse? Orientiert sich beispielsweise eine vom Wirtschaftsministerium gesteuerte Energiepolitik st?rker an Wirtschaftsinteressen, w?hrend energiepolitische Entscheidungen unter F¨¹hrung des Umweltministeriums eher auf ?kologische Nachhaltigkeit ausgerichtet sind? Zur Beantwortung derartiger Fragen werden ausf¨¹hrliche Interviews mit von Verschiebungen betroffenen Ministerialbeamten sowie anderen Akteuren gef¨¹hrt. Zudem wird die Entwicklung einzelner Politiken, die in verschiedenen Ministerien angesiedelt waren, ¨¹ber einen l?ngeren Zeitraum nachgezeichnet um m?gliche Effekte des Ressortzuschnitts zu identifizieren.

Das Projekt analysiert empirisch den deutschen Fall, ist aber theoretisch und methodisch ¨¹ber diesen hinaus erweiterbar. Mittelfristig soll es zu einer vergleichenden Untersuchung des Ressortzuschnitts in europ?ischen Demokratien ausgebaut werden.

(Erste) Ergebnisse:

Erste Untersuchungen zeigen, dass Ver?nderungen im Ressortzuschnitt der Bundesregierung weit h?ufiger vorkommen als angenommen ¨C zwischen 1957 und 2013 alleine zu 39 Zeitpunkten. Besonders h?ufig betroffen waren das Familien-, Arbeits- und Innenministerium sowie das Bundeskanzleramt. Die Grafik zeigt die Zeitpunkte dieser Reformen, den jeweiligen Effekt auf das Ministerium im Sinne einer St?rkung (+) oder Schw?chung (?), sowie die Zeitr?ume, zu denen die einzelnen Ministerien ¨¹berhaupt existierten (Linie).

Statistische Analysen deuten zudem darauf hin, dass koalitionspolitische Erw?gungen eine gro?e Rolle bei der Erkl?rung dieser Reformen spielen. Die meisten Ver?nderungen sind in direktem Zusammenhang mit Koalitionsverhandlungen zu beobachten. Dabei werden tendenziell die Ministerien derjenigen Parteien gest?rkt, die bei der Ministerienvergabe relativ schlecht abgeschnitten haben, also weniger Minister stellen, als man aufgrund ihrer Gr??e erwarten sollte. Zugewinne erzielen zudem diejenigen Ministerien, deren Themen im Wahlkampf eine hervorgehobene Rolle gespielt haben. All diese Punkte deuten darauf hin, dass Ver?nderungen im Ressortzuschnitt Teil eines umfassenden, machtpolitisch motivierten Koalitionsdeals sind.

Gesellschaftliche Relevanz und Nutzung der Ergebnisse

Die Regierung ist das wichtigste politische Steuerungsorgan moderner Demokratien. Zentrale Aspekte der Gesetzgebung werden in der Ministerialb¨¹rokratie ausgearbeitet und, nach 188betÑÇÖÞÌåÓý±¸ÓÃ_188ÌåÓýƽ̨-Ͷע*¹ÙÍø im Parlament, auch von dieser umgesetzt. Entsprechend fundamental sind Prozesse innerhalb der Regierung f¨¹r das Verst?ndnis, die Interpretation und ggf. auch die Beeinflussung von Gesetzesinhalten.

Das Projekt leistet einen Beitrag zu diesem Verst?ndnis und zeigt auf, wie organisatorische Ver?nderungen innerhalb der Bundesregierung deren Handeln beeinflussen k?nnen. Diese Ergebnisse haben praktische Bedeutung f¨¹r Interessengruppen, politische Parteien und politisch interessierte B¨¹rger. Auf wissenschaftlicher Ebene generiert das Projekt neue L?ngsschnittdaten zur Organisation der Bundesregierung, die f¨¹r verschiedenste Fragestellungen der Regierungs- und Verwaltungsforschung relevant sind, und tr?gt zu einem st?rkeren Dialog zwischen politikwissenschaftlicher Koalitionsforschung und Verwaltungswissenschaft bei.

Bamberger Kompetenzen

Institutionenwandel und politischer Wettbewerb im internationalen Vergleich sind zentrale Forschungsthemen von Prof. Sieberer. Das Projekt erweitert diese Forschungsagenda auf den Bereich der Exekutive und verkn¨¹pft sie mit der Koalitionsforschung, einem weiteren zentralen Forschungsfeld der Bamberger Politikwissenschaft. Das Projekt erhebt umfangreiche Prim?rdaten und analysiert diese mit modernen empirischen Methoden, sowohl quantitativer als auch qualitativer Art. Damit steht es stellvertretend f¨¹r den empirisch-analytischen, international orientierten Ansatz der Bamberger Politikwissenschaft.

Aktuelle Publikation

Sieberer, Ulrich/Meyer, Thomas M./B?ck, Hanna/Ceron, Andrea/Falc¨®-Gimeno, Albert/Guinaudeau, Isabelle/Hansen, Martin Ejnar/Kollveit, Kristoffer/Louwerse, Tom/M¨¹ller, Wolfgang C./Persson, Thomas. 2019. The political dynamics of portfolio design in European democracies. British Journal of Political Science First View, doi: 10.1017/S0007123419000346. Link

Sieberer, Ulrich. 2015. Die Politik des Ressortzuschnitts zwischen Koalitionsarithmetik und thematischer Profilierung. Eine koalitionspolitische Erkl?rung f¨¹r Kompetenz?nderungen der Bundesministerien, 1957-2013. Politische Vierteljahresschrift 56 (1): 77-103, doi: http://dx.doi.org/10.5771/0032-3470-2015-1-77.

Bilder

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