DFG-Projekt Webservice LegIT – der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Der LegIT-Webservice wird im Rahmen des Projekts Er?fas?sung und Er?schlie??ung des volks?spra?chi?gen Wort?schat?zes der kontinentalwest?ger?ma?ni?schen Le?ges bar?bar?o?rum in ei?ner Daten?bank aufgebaut (zumLegIT-Webservice).
Das Projekt ist durch F?rderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Oktober 2012 gestartet, im Dezember 2016 wurde es um eine zweite Phase verl?ngert.

Zum Forschungsgegenstand

Was sind die Leges barbarorum?

Mit dem lateinischen Begriff Leges barbarorum (dt. ?Gesetze der Barbaren‘) oder verkürzt einfach nur Leges (dt. ?Gesetze‘) werden traditionell die ?ltesten Aufzeichnungen der Rechtsgrunds?tze der verschiedenen germanischen St?mme bezeichnet. Andere Bezeichnungen aus der Forschung sind Volksrechte, Stammesrechte oder Germanenrechte. Die Handschriften, die die germanischen Rechtsvorstellungen überliefern, sind im Frühmittelalter, zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert, nach r?mischem Vorbild in lateinischer Sprache verfasst worden. Die Tradition ihrer Abschriften reicht allerdings weit darüber hinaus, vereinzelt sogar bis ins 16. Jahrhundert. Vor der schriftlichen Fixierung war das germanische Gewohnheitsrecht nur mündlich weitergegeben worden.

Das Projekt konzentriert sich auf ausgew?hlte Leges aus dem westgermanischen Sprachraum, die überwiegend zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert entstanden und damit dem Althochdeutschen zuzuordnen sind, der frühesten schriftlich bezeugten Sprachstufe des Deutschen. Insgesamt werden rund 250 Handschriften der folgenden Stammesrechte untersucht:

  • das Recht der Alemannen (lat. Lex Alamannorum)
  • das Recht der Bayern (lat. Lex Baiuvariorum)
  • das Recht der chamavischen Franken (lat. Lex Francorum Chamavorum)
  • das Recht der Friesen (lat. Lex Frisionum)
  • das Recht der Langobarden (lat. Leges Langobardorum)
  • das Recht der ribuarischen Franken (lat. Lex Ribuaria)
  • das Recht der Salfranken (lat. Lex Salica)
  • das Recht der Sachsen (lat. Lex Saxonum)
  • das Recht der Thüringer (lat. Lex Thuringorum).

Diese genannten Rechte enthalten Bu?enkataloge zu ganz unterschiedlichen Delikten, darunter etwa Verletzungen und T?tungen von Menschen und Tieren, Sachbesch?digung, Raub und Diebstahl.  Zudem führen sie Weisungen zu verschiedensten Kirchen-, Herzogs- und K?nigsangelegenheiten an (z.B. zu kirchlichen Asylbestimmungen oder zum Erb- und Ehegüterrecht).

Volkssprachige W?rter in den Leges

Die Leges-Handschriften sind vorrangig in lateinischer Sprache gehalten, bisweilen ist der Text jedoch auch mit volkssprachigen (d.h. germanischen bzw. althochdeutschen) W?rtern durchsetzt.

Die Quellen enthalten insgesamt etwa 1 200 solcher Einzelw?rter, die in über 42 000 Belegen bezeugt sind. Der historischen Sprachwissenschaft wird damit philologisch ?u?erst wertvolles Material geboten. Denn die volkssprachigen Leges-W?rter weisen zum Teil in sehr frühe Zeiten, aus denen wir ansonsten allenfalls einen marginalen Wortbestand in Runeninschriften und einen umfangreichen, aber in mancher Hinsicht anders gearteten Bestand an Eigennamen kennen. Schon aufgrund seines hohen Alters ist dieser Wortbestand also von gro?er Relevanz für die Sprachgeschichte und insbesondere für die Erforschung des Althochdeutschen. Darüber hinaus zeigen die W?rter eine gro?e Bandbreite sprachlicher Eigenschaften, die für die Forschung ebenfalls von h?chstem Wert sind. So bieten sie etwa erste oder sehr frühe Belege für eine ganze Reihe auch heute noch gebr?uchlicher W?rter (u.a. Wunde, nagen) oder neue Zusammensetzungen, zum Teil mit sonst nicht bezeugter Relation von Erst- und Zweitglied (z.B. angargnago ?für den Lasten- oder Milit?rdienst untauglich gewordenes Pferd, das nurmehr das Gras auf dem Anger knabbern darf‘ /?Angernager“; taudragil ?Person, die beim Laufen einen lahmen Fu? nachzieht‘/ ?Taustreifer“).

Vorhaben, Projektziele und Methode

Die Leges stellen allein schon aufgrund ihres hohen Alters einen zentralen Gegenstand der volkssprachigen ?berlieferung des Frühmittelalters  dar, dennoch haben sie in der historischen Wortschatzwissenschaft bislang deutlich weniger Beachtung gefunden als die volkssprachigen (althochdeutschen) Texte und Glossen (= nachtr?glich einem lateinischen Text hinzugefügte Kommentare und Worterkl?rungen). Dies ist vor allem der unzureichenden Editionslage geschuldet.

Im Rahmen des Projekts werden die volkssprachigen W?rter erstmals systematisch mit allen Belegen aus ihren Quellen erhoben und nach editorischen, grammatischen, semantischen und etymologischen Kriterien untersucht. Die Ergebnisse der vorrangig qualitativen Analysen werden mithilfe des Webservice LegIT online verfügbar gemacht.

Angesichts der gro?en Forschungslücke ist das LegIT-Projekt innerhalb der Grundlagenforschung zur Sprachgeschichte des Deutschen verankert.

Aktueller Projektstand

In LegIT sind aktuell ca. 15 000 Lesungen aus etwa 150 Handschriften erfasst. Dabei sind folgende Legesbereiche vollst?ndig erschlossen: Lex Alamannorum,  Lex Bauivariorum, Lex Francorum Chamavorum, Lex Frisionum und Lex Saxonum.
Gegenw?rtig wird an der Erhebung der volkssprachigen W?rter der Lex Thuringorum sowie der Lex Ribuaria gearbeitet, die bereits weit vorangeschritten ist.

Anwendungsbezug, gesellschaftliche Relevanz und Nutzung der Ergebnisse

Mit der Erschlie?ung des volkssprachigen Wortguts der Leges k?nnen neue Lebensbereiche des mittelalterlichen Menschen lexikalisch erschlossen werden. Dabei geht es nicht allein um eine Erweiterung unseres Wissens über den Wortschatz vergangener Zeiten, sondern auch um genauere Erkenntnisse über bestimmte Ausschnitte der Lebenswirklichkeit im Frühmittelalter. Die Leges haben als handlungsorientierte Gesetzestexte einen Sitz im Leben des mittelalterlichen Menschen. Das in ihrem Wortgut enthaltene (Rechts-)Wissen ist nicht zuletzt der Geschichte anderer Wissenschaften wie der Medizin, der Sozial-, der Kultur- oder Rechtswissenschaft dienlich. Die Ergebnisse k?nnen zugleich als Korrektiv für weitere Darstellungen dienen, beispielsweise für die althochdeutsche Grammatik, für das Deutsche Rechtsw?rterbuch oder für die Herkunftsw?rterbücher des Deutschen.

Bamberger Kompetenzen

Prof. Dr. Stefanie Stricker forscht seit über 35 Jahre zum Althochdeutschen. Sie war als Mitarbeiterin wie als Leitung an zahlreichen Projekten beteiligt und ist daher intensiv mit konzeptionellen Fragen der althochdeutschen Lexikographie vertraut. Im Zusammenhang mit der Untersuchung von volkssprachigen W?rtern, die in lateinische Texte integriert sind, verfügt sie, nicht zuletzt durch ihre ausgedehnte Glossenforschung, über ein besonders umfangreiches Expertenwissen. Darüber hinaus ist das Bamberger Team bestens in der Forschungsgemeinschaft zum Althochdeutschen vernetzt, es pflegt einen regelm??igen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, ?sterreich und der Schweiz. Die Ergebnisse dieses Austausches kommen dem Projekt unmittelbar zugute.

Ausblick

Es ist eine dritte Projektphase vorgesehen, in der das Vorhaben zum Abschluss kommen soll. In diesem Zusammenhang sollen die Lex Salica vollst?ndig erschlossen, die qualitativen Analysen des erhobenen Wortschatzes vervollst?ndigt und die Recherchem?glichkeiten weiter optimiert werden.

Weitere Informationen

Genauere Informationen zum Projekt, zu den Publikationen des Projektteams sowie zu aktuellen Veranstaltungen erhalten Sie im LegIT-Portal.

Die Digitalisate der in den Abbildungen genannten Handschriften stehen auch online in der Kaiser-Heinrich-Bibliothek der Bamberger Staatsbibliothek zur Verfügung:

Lex Alamannorum, Handschrift Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Jur. 35, fol. 145v - 146r; 1. Drittel des 9. Jh.

Lex Salica, Handschrift Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Can. 12, fol. 2v; 1./2. Drittel des 10. Jh.