Zum Jahrestag des Terrorangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 k?nnen Lehrende des Studiengangs Jüdische Studien und der Forschungsinitiative Jüdischkeit sowie weitere Universit?tsangeh?rige ihre Gedanken zur Erinnerung teilen.

Prof. Dr. Markus Behmer, Kommunikationswissenschaft, Forschungsinitiative Jüdischkeit

Kann, darf ein Agnostiker beten?

Ich zitiere: ?Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
[…] eine Zeit zum Weinen
und eine Zeit zum Lachen,
eine Zeit für die Klage
und eine Zeit für den Tanz“ (Koh 3,1-4).

Beim ?Supernova“-Festival nahe Re?im wurde getanzt am 7. Oktober. Dann kam der Horror, der Terror, kamen die M?rder von der Hamas …

?[…] eine Zeit zum Zerrei?en
und eine Zeit zum Zusammenn?hen,
eine Zeit zum Schweigen
und eine Zeit zum Reden“ (Koh 3,7).

Ich tr?ume: M?ge bald die Zeit zum Reden gekommen sein, zum ?Zusammenn?hen“. M?gen alle Menschen vom Sand am Princess Beach bis zum Schnee auf dem Berg Hermon, vom Meer bis zu Fluss und See in Eintracht leben k?nnen. Alle sind wir ?Windhauch“, alle ?gehen an ein und denselben Ort“, alle ?aus Staub entstanden“: ?Es gibt kein Glück, es sei denn, der Mensch kann durch sein Tun Freude gewinnen“ (Koh 3,19-22).

Ich bete: Friede, salām – SCHALOM.

Prof. Dr. Pascal Fischer, Anglistische und Amerikanistische Kulturwissenschaft, Jüdische Studien

Zum 7. Oktober erinnere ich mich an die Opfer des gr??ten Massenmordes an Juden seit dem Holocaust. Das Grauen, das die Barbaren der Hamas und anderer Terrororganisationen über die Armeeposten und Kibbuzim im Süden Israels gebracht haben, ist unermesslich. Dabei kann ich das Leiden der Verwundeten, den Horror der Geiseln und den Schmerz der Angeh?rigen allenfalls erahnen. Als Vater und Hochschullehrer, der t?glich mit jungen Leuten zu tun hat, gedenke ich besonders der Opfer des Supernova-Musikfestivals, auf dem Hunderte vergewaltigt und ermordet wurden.

Videos der Terroristen, Zeugenberichte und dokumentarische Aufarbeitungen offenbaren menschliche Abgründe, die ich nur allzu gerne beispiellos nennen würde, wenn sie nicht Teil einer langen Geschichte monstr?ser Juden- und Menschenfeindschaft w?ren.

Obwohl mir die Muster der Opfer-T?ter-Umkehr aus der Geschichte des Antisemitismus eigentlich bekannt sind, war ich doch überrascht, mit welcher Impertinenz Israel sofort nach dem 7. Oktober der abscheulichsten Verbrechen beschuldigt wurde. Mit Bestürzung blicke ich auf Demonstrationen an amerikanischen und deutschen Universit?ten, an denen der infame Vorwurf des V?lkermords gegenüber Israel erhoben wird. Dass solche absurden ?u?erungen nicht zuletzt von Professorinnen und Professoren kommen, erschüttert meine Hoffnung, Bildung k?nne letztlich doch einen moralisch klaren Blick auf politische Zusammenh?nge er?ffnen. Ich bin froh und dankbar, dass derartige Schm?hrufe an der Universit?t Bamberg keinen Widerhall gefunden haben.

Trotz – oder gerade wegen – der schweren Vers?umnisse der israelischen Streitkr?fte, der Geheimdienste und der Regierung, die am 7. Oktober offenkundig geworden sind, ruft mir der Tag in Erinnerung, wie wichtig ein starker Staat Israel für den Fortbestand des jüdischen Volkes ist.

Prof. Dr. Silvia Jonas, Philosophie, Forschungsinitiative Jüdischkeit

Der ?7. Oktober“ ist zu einer Chiffre geworden. Allerdings zu einer Chiffre, die nicht von allen gleich interpretiert wird, sondern teilweise radikal unterschiedlich, auch in der Wissenschaft. Solche Unterschiede in der Interpretation muss eine offene Gesellschaft aushalten. Wissenschaft ist aber nicht, wie oft behauptet, wertfrei. Sie ist gewaltfrei, sowohl physisch als auch verbal. Dieser Pr?misse wird jedoch seit dem 7. Oktober an vielen Universit?ten weltweit in erschütternder Weise zuwidergehandelt.

Jede wissenschaftliche Bewertung beginnt mit der Ur-Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung. Ursache für das Leid der israelischen UND pal?stinensischen Menschen ist das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023, an dem 1139 Menschen in Israel ermordet wurden und infolgedessen Israel das schlimmste kollektive Trauma seit der Staatsgründung erleidet. Alles, was darauf folgte, ist die tragische Wirkung. Wer einen Krieg beginnt und zudem, wie die Hamas, das eigene Zivil verr?t und als menschlichen Schutzschild missbraucht, nimmt billigend in Kauf, dass dieses Zivil als Folge der eigenen Aktion hohe Verluste erleidet. Nun liegt der Gaza-Streifen durch Israels Reaktion in Schutt und Asche. Das ist eine neue Trag?die in der trag?dienreichen Geschichte des pal?stinensischen Volkes.

Ich bete für die Rückkehr der israelischen Geiseln und für ein Ende des Leids auf beiden Seiten. Und ich verneige mich vor allen unschuldigen – israelischen und pal?stinensischen – Opfern seit dem 7. Oktober.

Prof. Dr. Kai Nonnenmacher, Romanische Kultur- und Literaturwissenschaft, Forschungsinitiative Jüdischkeit

Als ich zum ersten Mal im Oktober 2023 vom ?berfall der Hamas auf Israel h?rte, las ich gerade die Erinnerung des franz?sischsprachigen jüdischen Schriftstellers Albert Cohen, Oh Ihr Menschenbrüder aus dem Jahr 1972: Als alter Mann erinnert er sich an den nachhaltig verst?renden Tag, der seine Kindheit beendete. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs wird er zum ersten Mal mit offenem Antisemitismus konfrontiert, ein hasserfüllter Stra?enh?ndler zerst?rt beim zehnj?hrigen Jungen sein unschuldiges Aufwachsen, die Unschuld weicht einem traumatisierten Bewusstsein für Hass, Vorurteil und Rassismus. Cohen schreibt ?Aber es spielt keine Rolle, ob es mir gelingt, die Hasser zur Güte zurückzuführen und sie davon zu überzeugen, dass Juden auch Menschen und sogar N?chste sind. Menschen, ja, mit Gefühlen, Freuden, Hoffnungen, Z?rtlichkeit, ?ngsten und in ihrer Kindheit mit einsamen Tr?nen, Schluchzern in der erstarrten Kehle und Scham, mit gesenkten Augen.“ Der Junge k?mpft fortan mit Schuldgefühlen und Selbsthass; er beginnt, die Vorurteile zu verinnerlichen und sich in sich zurückzuziehen. Was hier individuell erz?hlt wird, gilt in Nahost für ganze Generationen und Gesellschaften. Und das erschreckende Anschwellen von antisemitischen Vorf?llen auch in Europa infolge der K?mpfe in Israel und Gaza fordert von uns Wissenschaftlern, mit unseren Kompetenzen das Gespr?ch mit der Gesellschaft zu suchen, auch in der Ratlosigkeit über m?gliche politische L?sungen mit langem Atem historische und kulturelle Auswege aus dem Krieg mitzusuchen. Eine Freundin von mir, deren Vorfahren im Konzentrationslager umgebracht wurden, postet seit dem 7. Oktober t?glich in ihrem WhatsApp-Status Fotografien von entführten israelischen Menschen, oft junge strahlende Gesichter. Ihre hilflose Geste, die von den wieder auflebenden tiefen Verst?rungen unserer jüdischen Nachbarn zeugt, erschreckt mich jedesmal. Ich frage mich, auch an den Universit?ten, was k?nnen wir in dieser erhitzten Zeit ?ffentlich tun, sagen, zeigen, um Frieden zu erm?glichen? Der israelische Regisseur Amos Gita? prangert mit Mitte 70 in seinem Filmessay Why War (man denkt an den Briefwechsel Warum Krieg? zwischen Freud und Einstein von 1932) diesen Krieg an, ohne ihn zu zeigen (vgl. das Interview von der Biennale in Venedig, Le Monde, 6.9.2024). Gita? mahnt uns: ?Meiner Meinung nach werden die Bilder von Tod und Zerst?rung von beiden Seiten instrumentalisiert, um den Krieg und die Brutalit?t weiter zu schüren. Für einen Israeli, der im Fernsehen nur Bilder der Anschl?ge vom 7. Oktober sieht, oder für einen Pal?stinenser, der nur Bilder der Bombenangriffe auf Gaza sieht, wird der Schmerz der anderen verleugnet. […] Why War beginnt mit einer Szene aus der Antike, in der die r?mischen Unterdrücker von Israelis und ihre jüdischen Opfer von Pal?stinensern gespielt werden. Man muss Fenster offen halten, Formen neu erfinden, wie es Fassbinder, Godard, Kiarostami oder Rossellini getan haben. Die gro?en Autoren haben ihre Gesellschaft immer kritisch betrachtet, aus dem einfachen Grund, dass sie sie weiterentwickeln wollten.“

Prof. Dr. Susanne Talabardon, Jüdische Studien

Ich m?chte meinen Beitrag für unsere Gedenkseite der Erinnerung an Yehudit Itzchaki widmen, die am 7. Oktober im Kibbutz Be’eri ermordet wurde. Hinter dem gro?en Leid Vieler darf das Antlitz der Einzelnen nicht in Vergessenheit geraten.
 

Yehudit Itzchaki, 76 Jahre alt. Sie wurde von Hamas-Terroristen am 7. Oktober in ihrem Haus im Kibbutz Be’eri ermordet.

Ihr Sohn Gidi berichtete, dass sie an jenem Morgen mit Yehudit in 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 waren, als sie sich ver?ngstigt in ihrem Schutzraum versteckte. Kurz vor 13 Uhr verlor die Familie den 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 zu ihr. Die letzte Botschaft, die sie versenden konnte, war ein Herz-Emoji für ihren Enkelsohn. 

Ihre Familie wurde erst nach elf Tagen über ihren Tod informiert. Man sagte ihnen, dass sie h?chstwahrscheinlich aus ihrem Haus gebracht und in ihrem Garten erschossen wurde – wo man ihren Leichnam aufgefunden hatte.

Sie wurde am 20. Oktober im Kibbutz Revivim beerdigt. Sie hinterlie? drei S?hne, Zachi, Gidi und Udi, und acht Enkel: Maya, Luke, Arbel, Rotem, Eyal, Zohar, Gil und Noam.

Geboren im Jahre 1947 in einem DP-Camp in Italien, war sie das Kind von zwei Holocaust-?berlebenden aus ?sterreich, die den Gro?teil ihrer Familien verloren hatten. […] Yehudit wuchs haupts?chlich in Jaffa auf, heiratete im Jahre 1972 Shimon und zog vier Jahre sp?ter nach Be‘eri , wo sie fast fünf Jahrzehnte lebte. Sie arbeitete vier Jahre lang als Sekret?rin in der Kibbutz-Druckerei und sp?ter in der Schulverwaltung. […]

Sie liebte es zu lesen und liebte Musik – alles von Barbra Streisand bis Dolly Parton oder Yehoram Gaon.

Ihr Enkelsohn Zohar schrieb auf Instagram: “You would always make me hot cocoa in the microwave and get chocolate chip cookies from the market and I would lie on the sofa and you would run your nails gently up and down my back until I fell asleep.”  (Quelle: https://www.timesofisrael.com/those-we-have-lost/)