?Mithilfe der Wirtschafts- und Sozialgeschichte kann man ganz neue Perspektiven gewinnen”
Prof. Dr. Nina Klein?der ist seit dem Sommersemester 2021 Juniorprofessorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit dem Schwerpunkt Arbeit und Bildung an der Universit?t Bamberg. Sie hat sich ab dem ersten Moment in Bamberg willkommen gefühlt. Im Interview erz?hlt die 37-J?hrige nicht nur von ihren ersten Erfahrungen an der Universit?t, sondern auch von ihrer Forschung und was ihr in der Lehre wichtig ist.
Sie sind Juniorprofessorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Warum sollte man heute aus Ihrer Sicht dieses Fach studieren?
Nina Klein?der: Wenn wir historische Zusammenh?nge studieren, schwingt die Wirtschafts- und Sozialgeschichte immer mit. Im 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 dazu steht eigentlich, dass nur sehr wenige Menschen explizit Wirtschafts- und Sozialgeschichte studieren. Ich selbst habe ursprünglich auch lediglich im Nebenfach Wirtschaftsgeschichte studiert und im Hauptfach Neuere und Neueste Geschichte. ?ber die Wirtschafts- und Sozialgeschichte kann man aber eine ganz neue Perspektive gewinnen – nicht nur auf historische, sondern auch auf aktuelle Ereignisse oder Einstellungen. Fragt man sich beispielsweise, warum in Deutschland noch heute solche Furcht vor Inflation besteht, so muss man etwa in die Zeit der Weimarer Republik zurückblicken. Die Folgen des Ersten Weltkrieges l?sten unter anderem mit den Reparationszahlungen des Versailler Friedensvertrages eine Hyperinflation aus, die für viele Menschen zu einer finanziellen Bedr?ngnis und prek?ren Lage führte. Diese Erfahrung hat die Gesellschaft gepr?gt.
Worauf legen Sie Ihren Fokus innerhalb der Wirtschafts- und Sozialgeschichte als Fach?
Ich schaue mir insbesondere drei Bereiche in meiner Forschung an. Der erste Schwerpunkt liegt in der Geschichte der Arbeit und dem Wandel von Arbeitswelten. Ging es früher beispielsweise noch um ganz massive, lebensbedrohliche Gefahren beim Arbeitsschutz, so stehen heute etwa ergonomische Risiken, Work-Life-Balance oder Individualisierung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich besch?ftige mich insbesondere mit der sogenannten ?Humanisierung der Arbeitswelt“ in den 1970er Jahren und 1980er Jahren. Dabei handelte es sich um ein Forschungsprogramm des Bundes, bei dem viele Unternehmen, Stiftungen, Gewerkschaften und Parteien beteiligt waren. Ziel war es, Arbeitsbedingungen in Betrieben zu verbessern.
Und die weiteren Schwerpunkte?
Mein zweiter Schwerpunkt liegt in der historischen Sicherheitsforschung, insbesondere aus unternehmenshistorischer Perspektive. Hier geht es mir vor allem um die diskursive Komponente: Unternehmen werden h?ufig mit Risiko in Verbindung gebracht. Das semantische Repertoire zwischen Risiko, Gefahr und Bedrohung ist hier gro?, denkt man beispielsweise an die Begriffe Risikobewertung und Risikomanagement, Marktrisiko oder auch die Risikoaversion. Ich frage mich: Wie wurde hingegen Sicherheit verhandelt und bestimmte Ereignisse als sicherheitsrelevant besetzt und gedeutet? Und inwieweit spielte Sicherheit in Unternehmen eine Rolle? Der dritte Schwerpunkt besch?ftigt sich mit der Unternehmensgeschichte, und hier insbesondere mit der transnationalen und kolonialen Geschichte als Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte.
K?nnen Sie mehr zu einem Ihrer Forschungsprojekte erz?hlen?
In meiner Forschung besch?ftige ich mich zum Beispiel mit Unternehmen, die sich zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert am deutschen Eisenbahnbau in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika, also unter anderem den heutigen Staaten Kamerun, Namibia und Togo, beteiligten. Ich besuche für dieses Thema vor allem Archive der Unternehmen selbst, die durch ihre historischen Quellen noch einmal eine ganz neue Perspektive auf die deutsche Kolonialgeschichte er?ffnen. Wichtige Ergebnisse zeigen, dass die allgemein oft als kurz erinnerte deutsche Kolonialgeschichte tats?chlich tief und langfristig in Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkte. Mithilfe solcher Erkenntnisse lassen sich aktuelle Beitr?ge etwa zu Fragen von Rassismus und der Rolle von Kolonialgeschichte, zum Beispiel auch in der Lehre und im Schulunterricht, leisten.
Was ist Ihnen bei der Vermittlung dieser Inhalte an Ihre Studierenden wichtig?
Mir geht es darum, die Studierenden zum selbstst?ndigen kritischen Denken zu motivieren und zu inspirieren. Ich m?chte den Blick zwar auf historische Dinge lenken, aber dennoch mit aktuellen Ereignissen zusammenbringen. Meine Lieblingsfrage ist ?Warum?“, damit die Studierenden nochmal tiefer greifen und Zusammenh?nge kritisch hinterfragen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Wichtig ist mir au?erdem, sie am Anfang des Studiums an ganz grundlegende F?higkeiten langsam heranzuführen. Viele haben zum Beispiel sehr gro?en Respekt vor der ersten Hausarbeit. Ich m?chte die Studierenden nicht nur mit einem Thema versorgen und sie vor ein wei?es Blatt setzen. Wenn man selbst in der wissenschaftlichen Karriere schon fortgeschrittenen ist, vergisst man leicht, dass man am Anfang vor den gleichen Herausforderungen stand.
Sie haben Ihre wissenschaftliche Karriere in Düsseldorf begonnen und sind jetzt in Bamberg. Wie war Ihr erster Eindruck?
Mein Bewerbungsvortrag war einer der letzten in Pr?senz bevor der erneute Lockdown im Herbst 2020 kam. Ich war in Bamberg sofort von der freundlichen und zugleich gelassenen Stimmung eingenommen. Es gibt hier nicht nur sch?ne Fassaden, sondern auch die Menschen dahinter in Universit?t und Stadt sind mir trotz des besonderen Starts ?auf Abstand“ aufgeschlossen, interessiert und herzlich begegnet. Ich habe mich ab dem ersten Moment in Bamberg sehr willkommen gefühlt.
Vielen Dank für das Interview!