?Nie mehr im Leben ein W?rterbuch!“
?Damals bin ich mit meinem sieben Kilo schweren Aufnahmeger?t – und somit im Schwei?e meines Angesichts – durch die Bergh?nge der Seychellen gestreift“, erinnert sich Dr. Annegret Bollée, emeritierte Professorin für Romanische Sprachwissenschaft, an die Anf?nge ihrer Forschung über Kreolsprachen. Hervorgerufen hatte diese nostalgische Erinnerung ein Smartphone mit integriertem Aufnahmeger?t. ?Das w?re heutzutage sicherlich einfacher zu bewerkstelligen. Aber spannender war es früher allemal.“
Einzige Kommunikationsm?glichkeit auf den Plantagen
Die Erforschung, oder genauer: ein etymologisches W?rterbuch aller franz?sischen Kreolsprachen – das ist das Projekt ihres Lebens. Auch wenn die Einordnung im linguistischen System nicht einfach ist, geben Annegret Bollée und ihre Projektmitarbeiterin Dr. Ulrike Scholz doch eine pr?gnante Definition: ?Kreolsprachen sind w?hrend der Kolonialzeit in der Plantagengesellschaft entstanden, als Sklaven in gro?er Zahl als Erwachsene Fremdsprachen – die Sprachen der Kolonialherren – lernen mussten und sie in diesem Lernprozess so erheblich ver?ndert haben, dass neue Sprachen entstanden sind.“ Diese Notwendigkeit bestand, weil durch die Umst?nde des Sklavenhandels Afrikaner ganz unterschiedlicher Muttersprachen auf den Plantagen zusammenkamen, die auch untereinander kein gemeinsames Kommunikationsmittel hatten.
In Kolonialgebieten entstanden, sind diese Sprachen auch heute noch dort verbreitet, sofern sie nicht ausgestorben sind: in der Karibik und in Westafrika, an der Westküste Indiens, in Südamerika, in Südostasien und Ozeanien. Dabei basieren die atlantischen Kreolsprachen auf europ?ischen Sprachen (Englisch, Franz?sisch, Niederl?ndisch, Portugiesisch oder Spanisch) mit afrikanischen oder indianischen Einflüssen, diejenigen im Indischen Ozean ebenfalls auf europ?ischen Sprachen mit madagassischen oder indischen Spracheinflüssen. Bollées Interesse lag immer auf den franz?sischbasierten Kreolsprachen, den Frankokreolsprachen, die haupts?chlich in zwei Gebieten verbreitet sind: in Louisiana, Haiti, auf den Kleinen Antillen und in Franz?sisch-Guayana, also auf amerikanischem Boden auf der einen Seite, auf der anderen Seite auf Inseln im Indischen Ozean, in Vietnam und auf der pazifischen Insel Neukaledonien.
Abgrenzung von den Kolonialherren
Bollées Untersuchungen liefern einen wichtigen Baustein für die Erforschung des kreolischen Wortschatzes, dessen Herkunft und Geschichte noch kaum wissenschaftlich erfasst sind. Beispielsweise stammen über 90 Prozent des haitianischen Vokabulars aus der franz?sischen Sprache, Aussprache und Grammatik unterscheiden sich jedoch deutlich. Aus dem Standardfranz?sischen ?boeuf“ wird so das Haitianische ?bèf“, aus der ?alliance“ die ?lalyans“. Letztendlich dienten diese Sprachen auch der Abgrenzung von den Kolonialherren: ?Li pale franse“ (Man kann ihm nicht trauen, er ist ein Lügner) hei?t w?rtlich übersetzt: ?Er spricht franz?sisch“. Die Aufforderung ?Kreyòl pale, kreyòl konprann“ (Sprich ehrlich, betrüge nicht) bedeutet eigentlich ?Kreol gesprochen hei?t auch Kreol verstanden“.
Recherchearbeit – ein Knochenjob nicht nur in den 80er Jahren
Da solch eine zeitaufwendige und kostspielige Forschungsarbeit nicht alleine zu stemmen ist, hat Annegret Bollée für ihr aktuelles W?rterbuch-Projekt, die Dokumentation amerikanischer Frankokreolsprachen, Unterstützung gesucht: Neben der Bambergerin leiten auch die Romanistin Prof. Dr. Ingrid Neumann-Holzschuh von der Universit?t Regensburg und Prof. Dr. Dominique Fattier, Linguistin an der Université de Cergy-Pontoise, dieses Projekt. Zur Vorbereitung und Recherche mussten sie zun?chst das Vokabular der kreolischen Sprachen aus bereits vorhandenen W?rterbüchern sammeln, um anschlie?end seine sogenannten Etyma, also die sprachlichen Wurzeln zu untersuchen. Diese werden für das entsprechende etymologische W?rterbuch aufbereitet: Es informiert über die Herkunft und die Geschichte einzelner W?rter und Wortteile. Dabei erl?utert es sowohl die lautliche Entwicklung als auch die sprachliche Bedeutung dieser W?rter und dokumentiert die Wurzeln der einzelnen Spracheinheiten mit Hilfe von Belegen aus der Literatur.
Bollée kann dabei auf ihre bisherigen Erfahrungen mit der Erforschung von Kreolsprachen und der Erstellung von W?rterbüchern zurückgreifen: Seit dem Jahr 1980 arbeitete sie am Pendant des aktuellen Werkes, einem etymologischen W?rterbuch der franz?sischen Kreolsprachen im Gebiet des Indischen Ozeans. In den Jahren von 1993 bis 2007, also auch nach Bollées Emeritierung im Jahre 2002, erschienen insgesamt vier B?nde. Obwohl sie sich anl?sslich ihres 70. Geburtstag im selben Jahr schwor: ?Nie mehr im Leben ein W?rterbuch!“, plant sie nun mit ihrem Team, bis 2015 das etymologische W?rterbuch für die amerikanischen Frankokreolsprachen zu ver?ffentlichen. Nach Fertigstellung w?ren demnach alle aus dem Franz?sischen entstandenen Kreolsprachen abgedeckt. Ohne eine finanzielle F?rderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), so Bollée, k?nnte man das Werk nie innerhalb von vier Jahren fertigstellen.
Auch wenn die franz?sische Fachwelt anfangs über die Initiative aus Deutschland nicht restlos glücklich war, ist Annegret Bollées Werk mittlerweile international anerkannt. Besonders die Tatsache, dass sie ihre Forschungsergebnisse im Gegensatz zu früheren Linguisten auf Franz?sisch ver?ffentlicht, dürfte dazu beigetragen haben, so Bollée. ??berdies erforscht sowieso jeder das, wozu er Lust hat“, erkl?rt die Romanistin. Genau diese Leidenschaft für Kreolsprachen ist Annegret Bollée und ihrer Mitarbeiterin Scholz anzumerken, wenn sie über ihre Arbeit sprechen.
Stigmatisierung bek?mpfen
Annegret Bollée hat aber neben ihrer eigenen Begeisterung noch einen uneigennützigen Grund für ihr Engagement im Ruhestand: ?Die Gesamtheit der Kreolsprachen verbindet eine stark von Ideologie gepr?gte Wissenschaftsgeschichte. So wurden sie zu Beginn ihrer Erforschung im 19. Jahrhundert mehr als drolliges Kuriosum denn als ernstzunehmendes Forschungsfeld behandelt.“ Dies sei auf die Stigmatisierung der Kreolsprecher zurückzuführen, die als beschr?nkt und unf?hig galten, die Sprache der Europ?er korrekt zu erlernen. Dieses Vorurteil haftet ihnen in abgeschw?chter Form noch heute an und wird erst seit wenigen Jahren durch die moderne Kreolistik nach und nach ausger?umt. Annegret Bollée und ihr Team schaffen mit ihrem W?rterbuch wissenschaftliche Grundlagen für diese Neubewertung der ehemaligen ?Sklavensprachen“, die damit auch bei ihren Sprechern einen h?heren Stellenwert bekommen.
Weitere Informationen
Weitere Informationen zu Annegret Bollées Projekt finden Sie auf der Internetseite des Lehrstuhls für Romanische Sprachwissenschaft. Erste Ergebnisse wurden bereits vorab im Internet ver?ffentlicht und k?nnen im Virtuellen Campus abgerufen werden.