Von der Zeitenwende 1989/90 bis heute: Glaube zwischen Kirche, Politik und Kabinett

Zu Beginn des neuen Jahres erfreuten sich die Zuh?rerinnen und Zuh?rer im mittlerweile vierten Vortragsabend des Theologisches Forums im Wintersemester 2020/21 einer bundesweit prominenten Referentin: Christine Lieberknecht, Ministerpr?sidentin a.D. des Landes Thüringen sprach am 14. Januar 2021 zu ?Glaube zwischen Kirche, Politik und Kabinett".

In ihren Ausführungen veranschaulichte die Ministerpr?sidentin a.D. die politische Relevanz des Glaubens zwischen Kanzel und Kabinett biographisch anhand pers?nlicher Erfahrungen und Erlebnisse. Dabei war der Glaube, wie sie betont, eine pr?gende Motivationskraft für ihr politisches Engagement: Glaube ist für Lieberknecht eine praktische Angelegenheit und verlangt nach der Tat.

In ihrem Vortrag schilderte Christine Lieberknecht zun?chst ihre Kindheit im Pfarrhaus von Leutenthal, wo ihre Eltern gemeinsam eine Pfarrstelle übernommen hatten. Eindrücklich erz?hlte Frau Lieberknecht von der Offenheit ihres Elternhauses, den vielen G?sten und wie sie weitgehend unbehelligt von einer Regulierung durch das DDR-Regime aufwachsen konnte

Nach dem Abitur 1976 studierte sie Evangelische Theologie an der Friedrich-Schiller-Universit?t Jena und war gesellschaftlich als ehrenamtliche FDJ-Sekret?rin der Theologiestudenten t?tig. Nach Absolvierung des ersten theologischen Examens, das sie mit einer Studie zur Rechtfertigungslehre abschloss, w?hlte sie bewusst nicht den Weg in die Wissenschaft, sondern trat ein Vikariat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringens an, um Pfarrerin zu werden. 1984 absolvierte sie das zweite theologische Examen und war anschlie?end bis 1990 als Pastorin im Raum Weimar t?tig.

Christine Lieberknecht war es von jeher wichtig, den 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 zu den Menschen zu suchen und offen auf sie zuzugehen: ?Du musst die Menschen m?gen“, betonte sie in ihrem Vortrag mehrmals und identifizierte genau hierin auch eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen politischer und pastoraler T?tigkeit.

Da sich in der DDR viele Menschen von den Kirchen abwandten, beschloss Lieberknecht, andere Wege zu gehen, um die Leute in ihrem Heimatort zu erreichen. So trat sie 1981 in die Block-CDU der DDR ein, für deren Reform sie sich nach der Wende entschieden einsetzte. Die Mitgliedschaft in der CDU bot ihr die Plattform, sich auch bei den ortsans?ssigen Repr?sentanten des SED-Regimes Geh?r zu verschaffen schaffen. Tatkr?ftig wirkte sie in ihrer Zeit als Pastorin bis 1990 an der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) mit.

Dass Frau Lieberknecht es schon immer verstand ?aufzustehen“, wenn es darauf ankommt, bewies sie auch im September 1989, als sie zu den vier Unterzeichnern des ?Briefes aus Weimar“ geh?rte, der sich an den Parteivorstand sowie an alle Bezirks- und Kreisvorst?nde der CDU der DDR richtete und die Aufkündigung des Bündnisses mit der SED forderte – ein mutiger Schritt. In ihrem Vortrag berichtete sie mitrei?end und spannend von den (christlich gepr?gten) Friedensbewegungen in dieser Zeit, die entscheidenden Anteil an der Wiedervereinigung hatten. Ihre Ausführungen zum ?Wunder der friedlichen Revolution“ geh?rten zu den eindrucksvollsten Teilen des Vortrags: Dass das herrschende Regime keinen Weg fand, auf die Proteste zu reagieren, obwohl gewaltsame Ma?nahmen jederzeit m?glich gewesen w?ren, machte Frau Lieberknecht anschaulich deutlich; und ebenso, dass die Versammlung der Menschen als bewusst friedliche Protest-Gemeinschaft der Schlüssel zum Erfolg gewesen war. Mit ?Kerzen und Gebet“ hatten die Machthaber nicht gerechnet! Hier sieht Christine Lieberknecht im Rückblick auch die Bedeutung der Kirchen, wobei die evangelische Kirche den Protest selbst st?rker pr?gte, w?hrend sich die Vertreter der katholischen Kirche sich eher im nachfolgenden Prozess der Demokratisierung engagierten.

Nach der ?Wende“ machte Christine Lieberknecht eine steile politische Karriere, die eigentlich in ihrer Lebensplanung gar nicht vorgesehen war. Für die CDU in den Thüringer Landtag gew?hlt, geh?rte sie der ersten Thüringer Landesregierung als Kultusministerin an. Als es Stasi-Vorwürfe gegen ihren ?Chef“, Ministerpr?sident Josef Ducha? gab, zeigte Lieberknecht erneut, dass sie bereit ist für ihre ?berzeugungen einzutreten und trat von ihrem Ministeramt zurück. Zu ihrer eigenen Verwunderung bedeutete das aber nicht das Ende ihrer politischen Karriere. Vielmehr blieb sie der Thüringer Politik in unterschiedlichen ?mtern erhalten. Sie wurde Landtagspr?sidentin, sp?ter CDU-Fraktionschefin. Im Jahr 2009 wurde sie schlie?lich Spitzenkandidatin der CDU und als erste Frau in einem Bundesland auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zur Ministerpr?sidentin des Landes Thüringen gew?hlt. In ihrer Amtszeit bis 2014, in die u.a. die Terror-Morde der NSU fielen, gab es nicht wenige Situationen, in denen – wie sie selbst sagt – christliche Glaubensüberzeugungen ihre politischen Entscheidungen mitpr?gten. Insbesondere der Schutz des Lebens und die Wertsch?tzung der Freiheit des Einzelnen lagen und liegen ihr besonders am Herzen.

In der sich an den Vortrag anschlie?enden Diskussion zeigte sich Ministerpr?sidentin a.D. Lieberknecht einmal mehr als engagierte Christin, insofern sie auch aktuell die Kirchenoffiziellen in die Pflicht nimmt, wenn es um die oft fehlende Begleitung gerade ?lterer Menschen in Zeiten der Covid-19-Pandemie geht.

Hinweis

Diesen Text verfasste Timo Doleschal. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.